Montag, 8. November 2010

Doktor Leiharbeiter, bitte kommen

In den Kliniken fehlen Mediziner. Die meisten sind auf Honorarärzte angewiesen.

Barbara Rundler arbeitet seit zwei Monaten als Chirurgin in einem Krankenhaus in Süddeutschland, als ein 80-Jähriger mit Becken- und Rippenfraktur eingeliefert wird. Der Fall ist kompliziert: Der Oberarzt hat acht Wochen Bettruhe verordnet, doch ein alter Mensch kommt nach so langer Zeit kaum wieder auf die Beine. Rundler entscheidet gegen den Willen des Vorgesetzten, dass der Mann schnell wieder mobilisiert wird. Was ihr im normalen Klinikalltag jede Menge Ärger hätte einbringen können, ficht die 44-Jährige nicht an: Sie ist Honorarärztin und nur ihrem Gewissen verpflichtet. Eine Leiharbeiterin. Doch in ihrem Metier ist das kein Makel. Im Gegenteil. Viele Ärzte wählen diesen Status ganz bewusst.
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»Mit 40 waren durchgemachte Nächte über meiner Belastungsgrenze«, sagt Rundler. Zeit für Privatleben und Freunde blieb ihr bei einer 80-Stunden-Woche nicht mehr. Oft kamen mit Überstunden und Bereitschaftsdiensten sogar mehr als 100 Stunden zusammen. Vor einem halben Jahr gab die Ärztin deshalb ihre Festanstellung nach zwölf Jahren auf und wagte den Schritt in die Selbstständigkeit.

Etwa 5000 Ärzte arbeiten nach Schätzungen des Bundesverbandes der Honorarärzte in Deutschland wie Rundler als Freelancer. Die Kliniken sind auf die Leihärzte angewiesen. Der Mangel an Fachärzten zeigt sich nicht nur in Hausarztpraxen in Ostdeutschland. Er trifft nicht nur kleine Krankenhäuser in dünn besiedelten Regionen. Auch in Kliniken in Großstädten klaffen Lücken in den Dienstplänen. Nach einer Studie der deutschen Krankenhausgesellschaft können derzeit rund 5500 Arztstellen nicht besetzt werden.

Von der dünnen Personaldecke profitieren die Honorarärzte. Um sie hat sich seit zwei Jahren sogar eine eigene Nischenindustrie entwickelt: Arztvermittlungsagenturen. Sie funktionieren ähnlich wie Zeitarbeitsfirmen. Die Agenturen vermitteln die Mediziner für Monate, Wochen oder auch nur wenige Tage an Praxen oder Kliniken. Barbara Rundler ist in den Karteien von gleich drei Agenturen gelistet und bekommt pro Tag zehn bis zwölf Arbeitsangebote per Mail. Sie zahlt für die Vermittlung nichts. Die Gebühr in Höhe von fünf bis zehn Prozent eines Tageshonorars tragen die Krankenhäuser.

Für die sind die Leihärzte alles andere als eine billige Lösung, um Bedarfsspitzen abzudecken. Ein Honorararzt kostet mit 60 bis 80 Euro pro Stunde je nach Einsatz und Qualifikation fast das Doppelte eines fest angestellten Kollegen. Doch die Kliniken haben keine Wahl. Ärzte sind Mangelware, viele Krankenhäuser bekommen auf ihre Stellenanzeigen kaum Resonanz.

Jochen Jouaux gründete 2001 die Facharztagentur in Bielefeld und gehört damit zu den Pionieren der Branche. Er ist Anästhesist und ging 1993 nach der Facharztausbildung nach Großbritannien als »Locum Doc« – wie Honorarärzte dort genannt werden. In den neunziger-Jahren herrschte in Deutschland eine Arztschwemme, Jobs waren rar und schlecht bezahlt. »Nach sechs Jahren Studium habe ich mit einem Vollzeitjob in der Klinik gerade mal 1000 Mark verdient«, sagt Jouaux. In England habe es ihm gefallen, in flachen Hierarchien zu arbeiten. »Man ist als Arzt unabhängiger und kann mehr selbst bestimmen.«

Zurück in Deutschland, importierte er die Idee der reisenden Ärzte. Anfangs zog er mit Handy und Laptop durch die Lande und vermittelte Ärzte, während er selbst noch als Anästhesist arbeitete. Mit seinem Konzept stieß er in eine Marktlücke.

2001 teilten sich fünf Agenturen den Vermittlungsmarkt. Bis 2007 änderte sich daran kaum etwas. Erst danach begann der Boom: Die Zahl der Agenturen wuchs binnen drei Jahren auf heute etwa 140. Große Zeitarbeitsfirmen sind in den Markt bislang nicht eingestiegen. »Ihnen fehlt das Know-how«, meint Jouaux. Man müsse selbst im Krankenhaus gearbeitet haben und die Probleme im Klinikalltag kennen, um für beide Seiten annehmbare Verträge aushandeln zu können.»Besonders gefragt sind Anästhesisten und Internisten, da ist der Markt wie leer gefegt«, sagt Steffen Schüler von der Agentur Doc to Rent. Er vermittelt nur Mediziner mit mindestens dreijähriger Berufserfahrung. Für das Honorararztwesen entscheiden sich Ärzte aus den unterschiedlichsten Motiven: Es gibt Wiedereinsteiger, meist Frauen, die aus dem Mutterschutz zurückkommen, Chefärzte, die auch noch nach dem 65. Lebensjahr arbeiten wollen, Gelegenheitsjobber, die sich in ihrer Freizeit Geld dazuverdienen wollen, und Aussteiger wie Barbara Rundler. »Mir hat die Wertschätzung in meinem Beruf gefehlt«, sagt sie. Als Honorarärztin habe sie zum ersten Mal das Gefühl, für ihre Arbeit auch fair entlohnt zu werden. Sie verdient 40 Prozent mehr als früher, muss sich jedoch selbst um Krankenversicherung und Rente kümmern. So relativiert sich das höhere Gehalt.

Viele Honorarärzte zieht es dennoch wieder in die Festanstellung. »Nach unserer Erfahrung arbeiten die meisten Ärzte nur ein bis zwei Jahre auf Honorar«, sagt Schüler. Das Herumreisen und ständige neu Eingewöhnen sei vielen auf die Dauer zu anstrengend.

In welchen Kliniken die Ärzte aus seiner Kartei eingesetzt werden, will Schüler nicht verraten. Für die meisten Krankenhäuser gilt es noch immer als Makel, auf Externe angewiesen zu sein, sie sprechen ungern darüber. »Viele haben Angst, dass Patienten Honorarärzte als Merkmal für mindere Qualität werten könnten«, sagt Nicolai Schäfer, Vorsitzender des Bundesverbandes der Honorarärzte. »Das Honorararztwesen rüttelt an unserem Bild vom Arzt, der stets für den Patienten da ist, so wie es in der Schwarzwaldklinik gezeigt wird.« Dieses Bild entspreche längst nicht mehr der Realität. Die Kliniken bemühen sich denn auch, ohne Honorarärzte auszukommen. Barbara Rundler ist bisher nach jedem ihrer Einsätze gefragt worden, ob sie nicht in eine Festanstellung wechseln wolle.

Viele Krankenhäuser beginnen, das Betriebsklima zu verbessern, um sich im Wettbewerb um die begehrten Fachkräfte besser verkaufen zu können. »In den achtziger und neunziger Jahren gab es ein Überangebot an Ärzten in Deutschland, was dazu führte, dass ihre Behandlung oft zu wünschen übrig ließ«, sagt Norbert Helming, Geschäftsführer der Christophorus-Klinken mit Standorten in Coesfeld, Dülmen und Nottuln. Die Kliniken bieten seit drei Jahren Weiterbildungen für Ärzte an. Eine Kita soll den Arbeitsplatz, zusätzlich attraktiv machen. Helming ist froh, dass die Anstrengungen ihre Wirkung zeigen und die Klinik inzwischen nicht mehr auf Honorarärzte angewiesen ist. »Externe bringen extreme Unruhe ins Krankenhaus, weil sie fast doppelt so viel Geld bekommen wie fest angestellte Ärzte. Das vergiftet die Stimmung im Haus.«

Woran liegt es, dass es so wenige Ärzte auf dem Markt gibt? 2009 ist doch die Zahl der gemeldeten Mediziner bei den Landesärztekammern gegenüber 2008 um zwei Prozent auf fast 430.000 gestiegen. Ärztemangel und steigende Medizinerzahl sind offensichtlich kein Widerspruch. Denn gleichzeitig steigt der Behandlungsbedarf der Bevölkerung.

An den Universitäten ist die Anzahl der Studienplätze sogar gestiegen: Im Wintersemester 2000/2001 gab es rund 7800, im Wintersemester 2009/2010 waren es bereits 8500 Studienplätze. Doch die ausgebildeten Ärzte kommen nicht in den Krankenhäusern an. Die Lücke entsteht zwischen Studium und Berufsstart. Laut der Kassenärztlichen Vereinigung ergreifen rund 40 Prozent der Medizinstudenten keinen klassischen Arztberuf, sondern gehen in die Wirtschaft.

»Es sind Elitestudenten, die die Hürde des Numerus clausus geschafft haben. Für sie ist es heute nicht mehr attraktiv, als Arzt zu arbeiten«, sagt Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer. Die einzige Lösung, um wieder mehr Ärzte in die Kliniken zu holen, sieht Hoppe in einem alternativen Zulassungssystem, das auch die Sozialkompetenz zum Arztberuf prüft und nicht allein die Note erfasst.

Bislang gibt es jedoch seitens der Universitäten keine Bestrebungen, das Zulassungssystem zu ändern. Jochen Jouaux macht sich jedenfalls keine Sorgen um sein Unternehmen: »Durch die lange Studienzeit der Ärzte wird es Jahrzehnte dauern, bis die Kliniken nicht mehr auf Honorarärzte angewiesen sind.«
Quelle: Zeit.de

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